Jul 15, 2025

Gegenseitige Bewerbung: Warum sich Unternehmen heute genauso bewerben müssen wie Talente

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Einleitung
Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht. Während Unternehmen früher aus Hunderten von Bewerbungen wählen konnten, fragen sich heute viele: Wo sind die passenden Kandidatinnen? Die Realität ist: In vielen Branchen bewerben sich Menschen nicht mehr nur beim Unternehmen, sondern Unternehmen bewerben sich bei Menschen und das ist gut so. Der Bewerbungsprozess ist längst keine Einbahnstraße mehr, sondern ein gegenseitiges Abtasten. Und genau hier liegt für viele Unternehmen eine riesige Chance oder ein unterschätztes Risiko.

 

Bewerbung ist heute ein Dialog, kein Monolog

Früher galt: Wer sich bewirbt, will etwas vom Unternehmen. Heute gilt: Beide Seiten prüfen, ob es passt.
Und das beginnt nicht erst beim Vorstellungsgespräch, sondern bei der ersten E-Mail, beim Bewerbungsportal, beim Wording in der Stellenanzeige. Alles, was ein Unternehmen nach außen trägt, ist Employer Branding und Teil der Bewerbung bei potenziellen Mitarbeitenden.

In meinen Coachings höre ich regelmäßig Sätze wie:
„Das Gespräch war gut, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich bin nur eine Lücke im Projektplan.“
Oder:
„Nach dem Gespräch war mir klar, dass ich dort nicht arbeiten möchte, ich habe mich nicht einmal gefragt gefühlt.“

Was viele nicht verstehen: Nicht nur Kandidat*innen präsentieren sich, auch Unternehmen hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Und der entscheidet darüber, ob aus Interesse ein Vertragsangebot wird.

 

Der Bewerbungsprozess als Spiegel der Unternehmenskultur

Wie mit Bewerbenden umgegangen wird, lässt tief blicken. Lange Wartezeiten, generische Absagen oder ein distanziertes Verhalten im Gespräch zeigen: Wertschätzung fehlt und wer das schon im Prozess merkt, fragt sich zurecht, wie der Alltag wohl aussieht.

Ein Unternehmen, das nicht einmal im Einstellungsprozess wertschätzend agiert, kann im Arbeitsalltag kaum mit Authentizität punkten.

Umgekehrt ist ein klarer, ehrlicher und transparenter Prozess oft ein starkes Signal: Hier wird nicht nur auf Skills geschaut, sondern auch auf Persönlichkeit, Teamfit und Entwicklungspotenzial. Das stärkt nicht nur die Bindung im Vorfeld, sondern reduziert Fluktuation im Nachhinein.

 

Unternehmen ohne gute Arbeitsumgebung werden langfristig verlieren

Ein wachsendes Gehalt, Obstkorb oder Homeoffice reichen längst nicht aus. Menschen wollen in einem Umfeld arbeiten, in dem sie sich einbringen können, gehört werden und wachsen. Wer das nicht bietet, wird über kurz oder lang die passenden Mitarbeitenden verlieren oder erst gar keine finden.

„Unternehmen, die keine gute Arbeitsumgebung schaffen, werden früher oder später scheitern, nicht, weil sie kein Produkt haben, sondern weil niemand mehr bleibt, um es weiterzuentwickeln.“

Besonders in Branchen mit Nachwuchsmangel oder hoher Wechselbereitschaft ist das kein hypothetisches Risiko, sondern eine akute Herausforderung.

 

Beidseitige Auswahl ist nicht Schwäche, sondern Reife

Viele Unternehmen betrachten kritische Fragen im Vorstellungsgespräch noch immer als Angriff. Dabei ist genau das ein Zeichen von Ernsthaftigkeit und Interesse.
Wer fragt, will verstehen. Wer nachhakt, will eine bewusste Entscheidung treffen. Das ist kein Machtspiel, es ist Augenhöhe und die gehört zur modernen Arbeitswelt dazu.

Gleiches gilt für Kandidat*innen: Auch hier braucht es Ehrlichkeit und Substanz. Wer sich verstellt oder Erwartungen erfüllt, nur um einen Job zu bekommen, wird ihn nicht lange behalten wollen.

 

Die Zukunft gehört der Gegenseitigkeit

Wer nachhaltig wachsen will, braucht stabile Beziehungen. Und jede Beziehung beginnt mit einem Kennenlernen auf Augenhöhe.
Bewerbungsprozesse sind heute nicht nur Selektion, sondern Beziehungspflege. Wer hier investiert, baut Vertrauen auf und stärkt die eigene Arbeitgebermarke über das Bewerbungsgespräch hinaus.

 

Fazit: Wer sich nicht bewirbt, wird nicht gewählt

Der Bewerbungsprozess ist kein Casting, sondern ein Dialog. Unternehmen, die das verstehen und leben, werden die besseren Talente gewinnen, nicht nur auf dem Papier, sondern in der Kultur, der Leistung und der Loyalität.

Denn in einer Welt voller Auswahl, zählt der Eindruck, den man hinterlässt.

Edmondson, A. (2019). The Fearless Organization. Wiley. Gallup (2022). State of the Global Workplace Report. McKinsey & Company (2023). The State of Organizations 2023. Goleman, D. (1995). Emotional Intelligence. Bantam Books. Harvard Business Review (2021). The Interview Process Needs a Reboot.