Nov 1, 2024

Die neuen Herausforderungen des digitalen Recruitings: Wie Remote-Bewerbungsprozesse die Arbeitswelt verändern

Post Image

Bewerbungsgespräche in der digitalen Umgebung sind längst kein Trend mehr, sondern werden zum Standard. Immer mehr Unternehmen passen sich dem Zeitalter der Digitalisierung an und wickeln Prozesse, die früher vor Ort stattfanden, nun remote ab. Effizienz, Zeitersparnis und Kosteneffizienz sind klare Vorteile dieses neuen Ansatzes. Doch hinter diesen Vorzügen lauern auch Herausforderungen, die sowohl Bewerber als auch Unternehmen gleichermaßen betreffen.

 

Soft Skills und Technologie: Eine neue Art von Empathie

In einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt gewinnen Soft Skills an Bedeutung. Besonders in Remote-Situationen, in denen die physische Nähe fehlt, wird es schwieriger, sich in die Lage des Gegenübers hineinzuversetzen. Hierbei sind Fähigkeiten wie Empathie, emotionale Intelligenz und aktives Zuhören entscheidend, um die Distanz zu überbrücken und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Besonders in der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung ist dieses Vertrauen elementar.

Soft Skills wie Empathie und emotionale Intelligenz sind in virtuellen Teams besonders wichtig, da die physische Distanz die Wahrnehmung von nonverbalen Hinweisen einschränkt und die Informationen anders verarbeitet werden müssen. Studien zeigen, dass das Fehlen von Körpersprache durch gezielte Kommunikationstechniken wie aktives Zuhören und offene Kommunikation kompensiert werden kann (Avolio & Kahai, 2003). Unternehmen müssen diese Kommunikationsmethoden gezielt einsetzen und gleichzeitig ihre Führungskräfte schulen, da sich emotionale Intelligenz im virtuellen Umfeld anders darstellt.

Ein weiterer Punkt ist die Art und Weise, wie Technologie die Soft Skills verändert. In einem rein digitalen Setting benötigen wir neue Ansätze, um Empathie zu zeigen und eine menschliche Verbindung herzustellen. Das bedeutet auch, dass digitale Kompetenzen eng mit emotionaler Intelligenz verknüpft werden müssen, damit Führungskräfte in der Lage sind, echte emotionale Signale zu erkennen, selbst wenn diese subtil über den Bildschirm vermittelt werden.

 

Der Bewerbungsprozess: Wer wird wirklich optimiert?

Ein weiterer Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Gestaltung des Bewerbungsprozesses selbst. Viele Unternehmen optimieren diesen Prozess intern, um für die Personalabteilung effizienter zu arbeiten. Allerdings wird dabei häufig übersehen, dass der Bewerbungsprozess auch für die Bewerbenden selbst optimiert werden sollte. Je mehr Aufwand ein Bewerbender betreiben muss, sei es durch unübersichtliche Plattformen, zu viele Schritte oder langwierige Verfahren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er den Bewerbungsprozess abbricht oder sich weniger Mühe gibt und ein passende Kandidat*in nicht erkannt wird.

Es ist entscheidend, dass der Bewerbungsprozess nicht nur auf die Bedürfnisse des Unternehmens, sondern auch auf die Erfahrung der Bewerbenden zugeschnitten ist. Ein effizienter Prozess, der es den Bewerbenden ermöglicht, sich problemlos zu bewerben, ist ein wichtiger Faktor, um Spitzenkandidat zu gewinnen. Hierbei spielt transparente Kommunikation eine entscheidende Rolle: Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie klare Erwartungen formulieren und den Bewerbenden ausreichend Zeit geben, ihre Stärken zu präsentieren. Gleichzeitig sollten Bewerber*innen die Möglichkeit haben, das Unternehmen durch detaillierte Informationen und Einblicke besser kennenzulernen, sowohl was die Unternehmenskultur als auch die Arbeitsweisen betrifft.

 

Remote-Prozesse: Effizient, aber auch für Diversität?

Der große Vorteil des digitalen Recruitings liegt in seiner Effizienz. Unternehmen können schneller auf Bewerbungen reagieren, und die Terminfindung für Bewerbungsgespräche wird einfacher. Spitzenkandidat*innen, die sich am anderen Ende des Landes oder sogar der Welt befinden, können ohne großen Aufwand zu einem ersten Teams-Gespräch eingeladen werden. Dies eröffnet den Unternehmen die Möglichkeit, auf einen weitaus größeren Talentpool zuzugreifen und international Fachkräfte zu rekrutieren.

Was dabei oft übersehen wird, ist, dass Remote-Recruiting auch eine enorme Chance zur Förderung von Diversität bietet. Da keine geografischen Grenzen gesetzt sind, können Unternehmen Kandidat*innen aus verschiedenen kulturellen, ethnischen und sozialen Hintergründen einstellen. Dies schafft die Möglichkeit, Teams mit vielfältigeren Perspektiven aufzubauen und von den Vorteilen einer kulturell diversen Belegschaft zu profitieren. Gleichzeitig sollten Unternehmen sicherstellen, dass ihre digitalen Tools und Prozesse barrierefrei und inklusiv gestaltet sind, um allen Bewerber die gleichen Chancen zu bieten.

 

Das Problem der Wahrnehmungsverschiebung: Warum der persönliche Kontakt entscheidend bleibt

Trotz der Effizienz des digitalen Recruitings bleibt ein entscheidender Nachteil bestehen: Der persönliche Kontakt kann durch ein digitales Gespräch nicht vollständig ersetzt werden. Selbst nach einem erfolgreichen Videointerview ist es wichtig, einen finalen Abgleich vor Ort zu machen oder diesen in Betracht zu ziehen, um sicherzustellen, dass die Eindrücke stimmen. Dieser „finale Check“ dient dazu, Fehleinschätzungen zu verhindern und sicherzustellen, dass die Chemie auch in einem persönlichen Setting auf beiden Seiten funktioniert.

Besonders in früheren Bewerbungsprozessen, als alles noch vor Ort stattfand, wurden Profile oft nur auf dem Papier gesichtet, ohne dass vorher ein persönliches Gespräch stattfand. Dies führte häufig dazu, dass beide Seiten nicht wussten, was auf sie zukommt, eine Art „Katze im Sack“-Situation. Unternehmen nehmen die Zeit und Hoffnung der Bewerbenden in Anspruch, ohne wirklich sicher zu sein, ob sie zueinander passen. Diese Wahrnehmungsverschiebung kann dazu führen, dass wichtige Nuancen verloren gehen, die in einem persönlichen Gespräch besser erkennbar wären.

 

Das verschwommene Bild und die Risiken im digitalen Prozess

Ein weiterer Nachteil des rein digitalen Prozesses ist das Verschwimmen der Wahrnehmung. Je mehr Kandidat*innen digital gescreent werden, desto mehr besteht die Gefahr, dass die individuellen Profile miteinander verschwimmen. Für Personalverantwortliche, die in einem eng getakteten Kalender viele Gespräche führen, kann es schwierig sein, die Eindrücke der einzelnen Gespräche zu differenzieren. Dieses „Verwischen“ kann zu falschen Entscheidungen führen, da wichtige Nuancen übersehen werden.

Auch für Bewerbende hat der digitale Prozess seine Tücken: Je kürzer und oberflächlicher die Gespräche, desto weniger hat der Bewerbende die Möglichkeit, einen authentischen Eindruck von der Unternehmenskultur zu bekommen. Einem Bewerbenden, der die Wahl zwischen mehreren Unternehmen hat, fehlt oft die Möglichkeit, sich ein wirkliches Bild von der Atmosphäre und dem Teamspirit zu machen. Dies kann zu Enttäuschungen führen, wenn die Erwartungen nicht mit der Realität übereinstimmen.

 

Langfristige Bindung: Was kommt nach dem Remote-Recruiting?

Auch wenn der digitale Einstellungsprozess effizient ist, stellt sich die Frage, wie Unternehmen sicherstellen können, dass die langfristige Bindung nach dem Remote-Recruiting-Prozess gelingt. Besonders das Onboarding spielt hier eine entscheidende Rolle. Neue Mitarbeitende, die remote eingestellt wurden, sollten auch nach dem Vertragsabschluss weiterhin aktiv in die Unternehmenskultur integriert werden.

Unternehmen müssen sicherstellen, dass sich neue Mitarbeitende, die remote eingestellt wurden, dennoch als Teil des Teams fühlen. Dies kann durch virtuelle Teambuilding-Aktivitäten, regelmäßige Check-ins und eine starke Kommunikation gefördert werden. Ein gut durchdachtes Onboarding-Programm, das sowohl die fachlichen als auch die zwischenmenschlichen Aspekte berücksichtigt, kann dazu beitragen, dass sich die Mitarbeitenden langfristig mit dem Unternehmen identifizieren.

 

Fazit: Remote-Recruiting ist effizient, aber die menschliche Verbindung bleibt unverzichtbar

Remote-Recruiting bietet zweifellos viele Vorteile, insbesondere in Bezug auf Effizienz und Kostenersparnis. Unternehmen können schneller auf Talente zugreifen, und der Bewerbungsprozess ist für alle Beteiligten weniger aufwendig. Doch trotz dieser Vorteile bleibt die Qualität der menschlichen Interaktion ein entscheidender Faktor. Der persönliche Kontakt, sei es bei einem abschließenden Gespräch vor Ort oder durch bewusstes Zeitnehmen im virtuellen Austausch, sollte nicht unterschätzt werden.

Unternehmen sollten sich nicht nur darauf konzentrieren, ihre internen Prozesse zu optimieren, sondern auch den Bewerbenden eine faire Chance geben, sich wirklich zu präsentieren. Soft Skills und die Fähigkeit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, gewinnen im digitalen Kontext an Bedeutung. Eine offene, ehrliche Kommunikation und die richtige Balance zwischen Effizienz und Tiefgang sind entscheidend, um die besten Talente langfristig zu gewinnen.


1. Avolio, B. J., & Kahai, S. S. (2003). Adding the “E” to E-Leadership: How it may impact your leadership. Organizational Dynamics, 31(4), 325-338. 2. Kaufland eCommerce Blog: Remote Recruiting: Digital zum Traumjob. Abgerufen von: https://kaufland-ecommerce.com/blog/karriere/remote-recruiting-digital-zum-traumjob/ 3. Springer Professional: Drei Voraussetzungen für erfolgreiches Remote-Recruiting. Abgerufen von: https://www.springerprofessional.de/recruiting/corona-krise/drei-voraussetzungen-fuer-erfolgreiches-remote-recruiting/19375768